Schreien stärkt die Lunge – Irrtum oder Wahrheit?
Unsere Großeltern waren sich sicher: Ein Baby muss man auch mal schreien lassen. Wer ein schreiendes Baby sofort zu beruhigen versuchte, musste sich den Vorwurf anhören, das Kind über die Maßen zu verwöhnen. Und außerdem stärkt Schreien Lunge, hieß es nur allzu oft. Aber stimmt das wirklich? Stärkt Schreien Lunge?
Stärkt Schreien die Lunge von Säuglingen?
Auch wenn sich die Annahme seit Generationen hält, gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg dafür. Bereits der gesunde Menschenverstand verneint die Frage „Stärkt Schreien die Lunge?“. Denn die medizinische Empfehlung für lungenschwache Patienten lautet nicht „Schreien Sie mehr“, sondern: Schonen Sie sich und steigern Sie Ihre Aktivität nur langsam. Ein Baby schreien zu lassen bringt also überhaupt keinen medizinischen Vorteil. Im Gegenteil: Häufiges oder anhaltendes Baby-Schreien kann ernste Folgen haben.
Wenn Kinder schreien: Medizinische Folgen
Schreien ist anstrengend. Der Körper, vor allem aber der Bauch, ist angespannt. Durch den erhöhten Druck im Bauch kann es zu einem Nabelbruch kommen. In seltenen Fällen kann dieser zu gefährlichen Komplikationen führen. Doch stärkt Schreien die Lunge? Die Antwort lautet ganz klar nein, aber es stellt körperlichen Stress dar. Dieser kann sich wiederum negativ auf viele Körperfunktionen auswirken. Denn wenn kleine Kinder schreien, versuchen sie damit immer etwas auszudrücken.
Kinder-Schreien ist ein Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt
Babys haben nicht viele Möglichkeiten um sich ihrer Umwelt mitzuteilen. Schreien ist jedoch ein Kommunikationsmittel, das auch Neugeborene nutzen können. Und sie verwenden es, um Ihnen zu sagen, dass etwas nicht stimmt. Das kann Hunger, eine volle Windel oder auch der Wunsch nach körperlicher Nähe zu den Eltern sein. Ihre Aufgabe als Vater und Mutter ist es, die Bedürfnisse Ihres Kindes zu erkennen und darauf einzugehen. Das muss nicht bedeuten, dass Sie beim kleinsten Geräusch gleich panisch werden und dem Kind alles gleichzeitig anbieten. Aber spätestens, wenn Ihr Baby nicht aufhört zu weinen oder beginnt zu schreien, sollten Sie versuchen, es zu trösten und die Ursache herauszufinden.
Ein Baby schreien zu lassen kann psychische Folgen haben
Kinder schreien, um ein Bedürfnis anzuzeigen. Deshalb werden sie (außer aus Erschöpfung) nicht eher damit aufhören, bis es gestillt ist. Wenn Sie Ihr Baby schreien lassen, riskieren Sie, dass es sein Urvertrauen verliert. Viele Kinder reagieren darauf mit erhöhter Unruhe, noch häufigerem Schreien sowie Fütter- und Schlafproblemen. Ein erschüttertes Urvertrauen kann sich zudem negativ auf die Entwicklung des Selbstvertrauens auswirken. Angesichts all dieser und weiterer möglicher Folgen empfehle ich Ihnen dringend: Seien Sie da, wenn Sie Ihr Baby schreien hören! Es braucht Sie und verlässt sich auf Ihre Hilfe. Dieses Vertrauen sollten Sie nicht verletzen, indem Sie Ihre Kinder schreien lassen.
Kinder schreien in den ersten Lebenswochen viel
Viele neugeborene Kinder schreien ab der zweiten Lebenswoche bis ungefähr zum dritten oder vierten Lebensmonat vermehrt. Die Ursache(n) für diese, auch als Drei-Monats-Kolik bezeichnete, Phase ist nicht eindeutig geklärt. Obwohl häufig Blähungen und Blockaden als Ursache vermutet werden, scheint es sich hierbei mehr um eine Anpassung in der neuen Welt als um eine ernsthafte Erkrankung zu handeln. Aber auch in diesem Fall stärkt Schreien die Lunge nicht.
Klären Sie deshalb immer mit Ihrem Kinderarzt ab, ob es möglicherweise organische Ursachen für das anhaltende Baby-Schreien gibt. Falls nicht, empfehle ich statt medikamentöser Behandlung und überflüssiger Untersuchungen oder Einrenkungen möglichst viel Ruhe, Geduld und Vertrauen. Und vor allem, liebe Eltern, schauen Sie, ob Sie selbst genügend Schlaf finden. Eltern mit Schlafmangel hören das Schreien doppelt so laut und sind viel schneller beunruhigt.
Wenn Sie zukünftig noch einmal den vermeintlichen Ratschlag „Schließlich stärkt Schreien die Lunge“ hören, wissen Sie jetzt, dass es sich hierbei nur um einen Mythos handelt. Weitere Tipps zum Baby-Schreien und anderen Themen finden Sie in meinem regelmäßigen Newsletter, für den Sie sich hier eintragen können. Umfangreichere Informationen erhalten Sie außerdem in meinem Buch Das Geheimnis gesunder Kinder, das am 11. Januar 2018 im KiWi-Verlag erscheint.